Auf den Spuren der Legenden der Dolomiten in St.Vigil
Ein kleines Mädchen, das mit Murmeltieren aufgewachsen ist, ein Bogenschütze mit 13 unfehlbaren Pfeilen, ein Volk, das sich in den Mäandern eines berühmten Gipfels versteckt und auf die Rückkehr des Friedens wartet.
Zu dem reichen Kulturerbe, das von den Bewohnern von St. Vigil im Enneberg bewahrt wurde, gehören die alten Geschichten des Königreichs Fanes. Viele Orte im Gadertal verdanken ihren Namen der vermutlich bedeutendsten Legende der Dolomiten. Orte voller Charme und Magie, an denen man leicht verstehen kann, wie das ladinische Volk die Inspiration finden konnte, dieser Welt der Bilder und Symbole, Krieger, Totemwesen, Waldmenschen und Zauberer Leben einzuhauchen.
Alles begann an den Hängen der Croda Rossa. Hier adoptierte eine alte Gana (Anguana) die neugeborene Moltina, die von ihrer sterbenden Mutter dorthin gebracht wurde. In diesen Bergen wuchs sie zusammen mit den Murmeltieren auf und lernte ihr Gehabe und ihre Sprache, bis sie eines Tages dem Prinz der Landrines, dem späteren König der Fanes, begegnete, der sich unsterblich in sie verliebte und heiratete. An einem Abend am Hof erzählten einige von weither angereiste Königinnen über ihre Herkunft und Vorfahren. Aber Moltina wusste nichts über ihre Herkunft und schämte sich zutiefst. So ergab es sich, dass sich ihr geliebter Berg zusammen mit ihr schämte und selbst errötete, was für Verwirrung unter den Gästen sorgte. Moltina konnte diesen Augenblick nützen, um sich in ein Murmeltier zu verwandeln und in die Berge zu fliehen. So geschah es, dass die Croda die Farbe annahm, mit der wir sie heute kennen.
Die Burg Fanes wurde unter dem Wappen des weißen Murmeltiers, an den Hängen des Conturines und des Sas dla Crusc errichtet. Ein heiliger Berg, verbunden mit dem Mythos einer mysteriösen blauen Flamme, die jedes Jahr an seinen Felswänden zu beobachten ist. Es wird überliefert, dass ein Adliger aus Sankt Vigil im Enneberg, "Gran Bracun" genannt, der dort wirklich im 16. Jahrhundert gelebt haben soll, einen furchterregenden Drachen besiegt hat, der in den Felshöhlen des Sas dla Crusc lebte. Wenn man von der Alpe di Fanes in Richtung Cima Dieci aufsteigt, kann man noch das "Ciastel de Fanes" bewundern, das wahrscheinlich das Fundament der Festung bildete. Direkt über der Rifugio Lavarella befindet sich hingegen das "Parlament der Murmeltiere", eine besondere kreisförmige Felsformation, die an die alte Allianz zwischen dem Königreich Fanes und den Murmeltieren erinnert.
Jeder, der einmal in Sankt Vigil war, kennt den Kronplatz, aber viele wissen nicht, woher sein Name kommt. Aus der Ehe von Moltina und ihrem Prinzen wurden Zwillinge geboren: Lujanta und Dolasilla. Dolasilla wurde ein tapferer Bogenschütze, der auf einem weißen Pferd ritt und stets 13 unfehlbare Pfeile bei sich trug. Seine silberne Rüstung war mit Hermelinfell verbrämt. Nach seinen ersten Kampfefolgen wurde Dolasilla triumphierend vom König auf dem Kronplatz mit der "Raiëta" gekrönt, einem kostbaren, glitzernden Juwel. Aufgrund dieses Ereignises erhielt der Kronplatz seinen Namen als "Ort der Kronen".
Voller Sehnsucht und in der Hoffnung, das unterirdische Königreich der Aurona zu erobern, schloss der König der Fanes einen Pakt mit den benachbarten Völkern. Wenn er den Prinzen "Edl de Net" abgezogen hätte, ohne den Dolasilla laut ihrem Versprechen nie kämpfen wollte, hätte er verhindert, dass seine beste Kriegerin in die Schlacht gezogen wäre und sein Königreich in die Hände des Feindes fallen würde.
Dosilla erhielt von einigen Zwergen die kostbare Rüstung aus schneeweißem Hermelinfell; sie warnten Dolasilla, niemals in den Kampf zu ziehen, wenn sich die Rüstung verfärben sollte. Am Morgen vor der letzten Schlacht auf der Hochebene des Pralongià verfärbte sich die Rüstung blutrot. Dolasilla war gequält von einem inneren Zwiespalt: sollte sie das Versprechen an Edl de Net nicht einhalten oder zusehen, wie ihr Volk besiegt würde? So entschied sie sich, zu kämpfen. Als die Feinde kurz vor ihrer Niederlage standen, wurde die Prinzessin Opfer eines eigenen Pfeils, der ihr einige Tage zuvor auf den Wiesen der Armentara von den Feinden heimtückisch entwendet worden war. Das Volk der Fanes wurde besiegt. Der König der Fanes, der am Lagazuoi auf den Ausgang der Schlacht wartete, wurde von einem mächtigen Zauberer gejagt, der ihm vorwarf, ein "falscher König" zu sein, und ihn als solchen in Stein verwandelte. Auch heute noch sieht man auf den Felsen über dem Falzarego-Pass die Büste des Königs mit seiner Spitzenkrone.
Das verbliebene Volk der Fanes konnten dank der Hilfe der Zwerge fliehen, die den Lauf eines großen Wasserfalls namens "Il Morin di Salvans" umlenkten. Wahrscheinlich handelte es sich um einen der prächtigen Wasserfälle, die man entlang des Valun de Fanes erblicken kann. Danach versteckten sie sich in einem großen unterirdischen Raum, der von Murmeltieren zum Winterschlaf genutzt wurde. Nach sieben kampreichen Sommern wurden die Fanes auf dem Furcia dai Fers, einem Gipfel, den man vom Val dai Tamersc aus sehen kann, endgültig besiegt. Nur zwanzig Frauen und Kinder überlebten, darunter die Königin und Lujanta. Jedes Jahr verlässt die Königin der Fanes in einer Nacht bei zunehmendem Mond den Sas dla Porta (Seekofel, aus dem Ladinischen: Sasso della Porta) und fährt mit ihrer Tochter mit dem Boot über den Pragser See. Sie warten darauf, dass die silbernen Posaunen in den Dolomiten ertönen und die "versprochene Zeit" verkünden, in der alle wieder auferstehen werden, um in Frieden zu leben.
Neben den sagenumwobenen Orten gibt es in in St. Vigil im Enneberg einen zauberhaften Themenweg, der die Geschichte der Fanes erzählt: der Trú dles Liondes, der besonders Familien mit Kindern zu empfehlen ist.